Ein etwas anderer Blick auf Business Intelligence

(Business) Intelligence: Einsicht, Aufklärung, Nachrichtendienst

Der Autor wurde gebeten etwas für die Website „Intelligence“ zu schreiben. Er sei ein Experte. Experte für was, fragt er sich. Zeit also, sich mit dem Thema Business Intelligence auf eine etwas andere Art auseinander zu setzen und die Themen aufzuzeigen, von denen der Autor zumindest überzeugt ist, dass er sich eine Meinung bilden kann und darf. Dies erfolgt in diesem Fall ohne Anspruch auf Empirie oder auf Vollständigkeit, dafür mit einem Schmunzeln und viel Praxiserfahrung.

Das englische Wort „Intelligence“ hat viele Übersetzungen ins Deutsche. Die nahe liegende Intelligenz ist nur eine davon, eine psychologische Fachzeitschrift eine andere. Die Website intelligence.de grenzt das Spektrum der Deutung ein: Business Intelligence, kurzum: BI. Auf vielen Webseiten von BI-Anbietern und Beratungshäusern wird nicht selten darauf hingewiesen, dass die Software eingesetzt werden kann, um Unternehmen intelligenter zu gestalten. Auch Unternehmensintelligenz ist als Übersetzung für BI zu finden. Egal wann man die Entstehung des Begriffs datiert und mit wem man den Begriff in Verbindung bringen mag, unstrittig dürfte sein, dass es den Begriff seit mehr als zwanzig Jahren gibt und er aus dem angelsächsischen Sprachraum stammt. Die CIA, ausgeschrieben als Central Intelligence Agency, würde wohl eher selten als Zentrale Intelligenzagentur übersetzt werden. Auch die uns in Deutschland umsorgenden hoheitlichen Nachrichtendienste, allen voran der Bundesnachrichtendienst, kurz BND, versteht sich auf der englischen Website als „German Intelligence Service“. In der oben genannten Logik der BI-Übersetzung würde dies „Deutscher Intelligenz-Service“ bedeuten. Wohl kaum! Die englische Sprache kennt noch ein paar Deutungen mehr für den Begriff „intelligence“. Dies sind unter anderem Einsicht, Aufklärung und Nachrichtendienst. Alle drei Begriffe sind im Zusammenhang mit dem Begriff „Business“ wesentlich besser geeignet, um das Akronym BI zu beschreiben, sofern man davon ausgehen darf, dass „Business“ als Geschäft, Geschäftsbetrieb, Firma oder Unternehmen interpretiert werden darf.

Demnach hätte Business Intelligence die Aufgabe, Einsichten in das Unternehmen und seine Prozesse bereitzustellen. Dies dürfte einer der Gründe sein, warum ein Zweig der BI sich in Richtung Corporate Performance Management weiterentwickelt hat: der leistungsorientierten Unternehmenssteuerung. Gemeint ist die Ausrichtung von BI auf die leistungsbezogenen Prozesse in einem Unternehmen. Das fasst den Begriff deutlich weiter als der in der Regel auf die bloße Finanzseite fokussierende Standardeinsatz von BI. Im Mittelpunkt steht hier die Effizienzsteigerung im Unternehmen. Es wundert daher kaum, dass sich vor allem die Controller um diesen Teil von BI kümmerten und nach wie vor kümmern. Gleichwohl liefert es einen Erklärungsansatz, warum Planung und Finanzkonsolidierung als Bestandteile von BI-Suiten gesehen werden.

BI hat aber auch die Aufgabe der Aufklärung. Aufklärung über Sachverhalte, deren Zusammenhänge man nicht immer kennt, die nicht explizit gewusst werden, die allenfalls als implizites Wissen einzelner Spezialisten des Unternehmens angesehen werden können. Ganz menschlich wurde dieser Bereich der BI in die Glaskugel getragen, die die Zukunft deuten soll: Predictive Analytics, Text- und Data Mining. Mathematisch-statistisch fundiert werden hier Techniken zum Einsatz gebracht, die auf Basis der Vergangenheit eine Aussage über die naheliegende Zukunft erlauben. Web Analytics und Social Media Analytics weisen den Weg der BI in die modernen Medien auf, in der Konsumenten und Marktbegleiter nur allzu gerne Informationen preisgeben und so einfach zu recherchieren sind: Die Welt des World Wide Web, der Weblogs und der Sozialen Netze. Auch hier geht es um Aufklärung, um Früherkennung und nur zu kleinen Teilen um Einsicht. Übrigens auch um die Einsicht, dass man weder beliebig weit in die Zukunft schauen kann, noch dass man in einer Welt hoher Volatilität unter Auslassung von Risikoaspekten überhaupt sinnvoll prognostizieren kann.

Natürlich sind es auch hier Effizienzbestrebungen, die die Investitionen treiben, allen voran von Marketing- und Kommunikationsstrategen, gefolgt von Produktverantwortlichen. Doch neben der Effizienz geht es hier um die Entstehung neuer Geschäftsmodelle, der Verschlankung der Vertriebs- und Kommunikationswege, sowie neuer Dienstleistungen und Produkte. Dieser Lösungsaspekt von BI ist aber wenig vertreten, sowohl in der Welt der Unternehmen als auch in der Welt der BI-Anbieter. Denn hier ist der Pfad zwischen Massensoftware und Expertensystem sehr schmal, müssten doch für solche fundamentalen Entscheidungen Simulationsmodelle erstellt werden, möglichst in endlicher Zeit trotz der Notwendigkeit der Verwendung von System Dynamics-, Agent Based- oder Discrete Event-Methoden. Hier zeigt sich sehr deutlich, dass der von einigen Anbietern ausgerufene „Closed-Loop“ nur ein kleiner Regelkreis aus Planung, Reporting und Analyse ist. Man schmort im eigenen Saft, dafür weiß man dann zwar, wann die Soße die richtige Temperatur hat und wie man bei geplantem Geschmack die Zutatenmenge optimiert. Man weiß auch, ob man besser agiert hat, als zuvor geplant wurde. Aber ob man Marktanteile gewonnen hat, ob die Soße dem Kunden schmeckt, was er dafür zu bezahlen bereit ist, oder ob es nicht schon einen neuen disruptiven Anbieter gibt, der den Markt zu unserem Nachteil verändert, all das wird ausgeblendet.

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Abbildung: BI – Sichtweisen ohne Anspruch auf Vollständigkeit, Quelle: Dirk Findeisen

Dieser aufgezeigte Evolutionsstrang von BI wird begleitet durch die nachrichtendienstliche Aufgabe, die BI per Definition innehat – und damit meint der Autor die Begriffsdeutung des Akronyms BI und weniger die vielzitierte Definition der Gartner Group. Über die spricht man nicht gerne. Und doch gibt es sie. Markenartikelhersteller versuchen frühzeitig Reputationsschäden zu vermeiden und lassen Millionen von Webtagebüchern, sog. Weblogs oder kurz Blogs genannt, nach ihren Markenbegriffen durchsuchen. Produktqualität und Reputation sollen so geschützt, Raubkopierer frühzeitig entdeckt werden. Topic Detection & Tracking ist ein Beispiel für eine Technik, dies in einer Zeit zu bewerkstelligen, in der die zu durchsuchenden Medien täglich unkontrolliert wachsen und man heute kaum sagen kann, was morgen „en vogue“, „chic“ oder einfach nur „cool“ und angesagt ist. Das ist der „nachrichtendienstliche“ Blick nach außen, auf das Unternehmensumfeld, den Markt. Der BND des Unternehmens so zu sagen, nur ohne Spionage.

Wo es einen BND gibt, gibt es auch einen Bedarf für das BfV, das Bundesamt für Verfassungsschutz, also einen Blick nach innen, um die innere Verfassung zu schützen. Dieser Zweig wird getragen von Revisoren, Compliance Beauftragten, Werksschützern und Sicherheitsbeauftragten. Mindestens genauso beliebt wie die Controller, kämpfen auch Sie im Übrigen darum aufzuzeigen, dass es nicht um Kontrolle, sondern um Prävention geht. Und die internationale Jurisdiktion gibt ihnen Recht: Geschäftspartner-Screening und Korruptionsprävention, kurz ABC für Anti Bribery & Corruption, also das weite Spektrum von Geldwäscheprävention, Embargo-Kontrolle, kartell- und arbeitsrechtliche Prävention bis hin zur Prävention von Industriespionage.

Die „Einseher“ können kaum darstellen, dass sie nachhaltig dem Unternehmen helfen. Zwar gibt es eine empirische Studie von Davenport von der Harvard Business School, die darstellt, dass analytisch getriebene Unternehmen sich nachhaltig besser entwickeln als andere, doch stellt er auch fest, dass es dabei nicht nur auf die Analytik ankommt. Klar, die Automatisierung des Berichtswesens und die Produktivitätssteigerungen bei der Unternehmensplanung, die zweifelsfrei den Anbietern zuzuschreiben sind, führen an sich schon zu einer gesteigerten Effizienz, aber sie haben bislang noch kein Unternehmen vor dem Untergang bewahrt. Ist das Ende der Produktivitätssteigerung hier schon erreicht?

Die „Aufklärer“ können im Bereich Reputationsschutz immerhin aufzeigen, was passieren könnte, wenn man auf diesem Feld zu spät agiert. Sie können zeigen, dass in einem Massenmarkt und in Märkten, die den Kunden schon fast aus den Augen verloren haben, neue Ansätze in der Kundenkommunikation greifen. Ihnen fehlt noch der Nachweis der Nachhaltigkeit, aber das mag nur eine Frage der Zeit sein. Innovationspotential gibt es zu genüge. Es bleibt also spannend.

Die „Nachrichtendienstler“ können viele Beispiele aufzeigen, wie schnell Reputation heute vernichtet wird. Sie können aufzeigen, wie hoch Strafzahlungen und Bußgelder ausfallen und wie die Rechtsprechung sich wandelt von einer Strafbarkeit des Einzelnen hin zur Strafbarkeit einer Organisation und der dort agierenden Manager, Geschäftsführer, Vorstände und Aufsichtsräte und das zunehmend exterritorial und mit Bruttowertabschöpfung. Die Governance Risk & Compliance Bestrebungen sind noch relativ jung. Aber sie sind überlebenswichtig für Unternehmen.

Es fehlt ein vierter Bereich, ohne den wenig bis kaum etwas von den drei vorgenannten möglich wäre. BI ist nichts ohne eine gut funktionierende „Datenlogistik“. Alle drei Bereiche führen zu immer komplexeren Datenbewirtschaftungsprozessen, zu immer teureren und schwerfälligeren Strukturen. Teuer ist relativ in einem Zeitalter, in dem auf Informationen ganze Geschäftsmodelle basieren. Aber In-Memory-Datenbanken, Column Store Data Warehouses, Big Data und andere Methoden und Techniken werden nur übergangsweise helfen, dem Datenvolumen auf der einen und der Rechtzeitigkeit der Informationen auf der anderen Seite gerecht werden zu können. Vielleicht ist Complex Event Processing ein Ausweg, vielleicht auch nur ein Bypass? Nicht nur diese Diskussion ist interessant, verfolgt und begleitet zu werden.

Allen vier Bereichen ist eins gemein: Sie stellen die Themen dar, mit denen sich der Autor seit Jahren befasst und Artikel und Bücher darüber verfasst hat. Deren Innovationen ihn nach wie vor erfassen – wie so manche Ernüchterung auch – auf welche er aber meistens gefasst reagieren konnte im Auf und Ab des Projektgeschäfts, und im Für und Wider von Theorie und Praxis. Er freut sich auf lebhafte Diskussionen und regelmäßige Artikel in diesem Forum.

Kontakt: Dirk Findeisen, Mitglied der Geschäftsleitung TONBELLER® AG, df@tonbeller.com